Naturheilmittel gegen Covid-19: Viele Ansätze, wenig Belege

 

 

  • Pflanzen wie Aronia, Grüntee und Zistrose haben ein antivirales Potenzial.
  • Studien, die eine therapeutisch taugliche Wirkung belegen könnten, sind allerdings häufig schwer realisierbar und teuer.
  • Warum das so ist, erläutert der Internist und Experte für Naturheilkunde, Dr. Rainer Stange, im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

 

·         Bei Atemwegsinfekten können pflanzliche Mittel oft gute Dienste leisten. Ist es denkbar, dass sie auch gegen Covid-19 helfen? Etwa, indem sie vor einer Ansteckung schützen oder Symptome lindern? Aussichtsreiche Pflanzen gibt es viele, doch bislang fehlt es an Belegen für deren Wirksamkeit. Der Internist Dr. Rainer Stange, Experte für Naturheilkunde, erklärt, warum die Forschung so schwierig ist.

 

 

 

 

 

 

Die Therapie von Covid-19 hat sich zwar verbessert, dennoch war die Suche nach wirksamen Medikamenten bisher nicht sehr befriedigend. Welchen Beitrag kann die Naturheilkunde leisten?

 

Dr. Rainer Stange: Wir würden gern einen großen Beitrag leisten, doch leider ist er bisher eher bescheiden. Inzwischen gibt es einige chinesische Studien aus der Frühzeit der Pandemie, wo Präparate der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) zum Teil auf Intensivstationen eingesetzt wurden. In China werden die Effekte relativ euphorisch geschildert, doch wird die Wertigkeit dieser Studien überschätzt. Unsere ganze medizinische Publikationskultur ist derzeit auf Schnelligkeit, nicht auf Qualität getrimmt. Das gilt auch für die Phytotherapie.

 

Um welche Stoffe ging es bei diesen Studien?

 

Das waren keine einzelnen Pflanzen, sondern meist klassische Rezepturen aus etwa zehn bis 15 Pflanzen. Zu den Kandidaten, die wir sehr früh vorgeschlagen haben, gehören Echinacea, also Sonnenhut, und viele altbekannte Pflanzen mit hustenlinderndem oder schleimlösenden Effekt wie etwa Thymian. Bei Laborstudien haben einige dieser Kandidaten hoffnungsvoll abgeschnitten. Zum Beispiel gibt es eine Arbeit, wonach Echinacea-Extrakte, aber auch der aus der Malariatherapie bekannte einjährige Beifuß eine Aktivität gegen Sars-CoV-2 entwickeln. Aber das tun wahrscheinlich viele Pflanzen, es kommt auf die Konzentrationen an. Man muss sich fragen: Ist es realistisch, dass die Substanzen die Zielorgane in wirksamen Konzentrationen erreichen? Bei topischen, also lokalen, Anwendungen ist das leichter machbar. Da die Viren vor allem über die Nasen- und Rachenschleimhaut eindringen, kann man versuchen, die Schleimhäute durch Gurgeln oder Schlucken so zu konditionieren, dass sie resistenter werden. Von einer solchen topischen Behandlung kann man sich oft mehr versprechen als von einer systemischen, bei der sich der Wirkstoff im ganzen Körper verteilt.

 

Man könnte also vorbeugend mit Kräuterzubereitungen gurgeln?

 

Ja. Der Mundrachenraum ist ja der erste Angriffspunkt. Vor Grippeviren kann man sich zum Beispiel mit Gurgeln von Grüntee schützen. Das wissen wir aus der sehr guten Forschung, die in Japan seit Jahrzehnten zu diesem Thema betrieben wird. So hat man in randomisierten Studien eine Gruppe mit Grüntee, die andere mit klarem Wasser gurgeln lassen. Die Grünteegurgler waren wesentlich besser vor Grippe geschützt als die Wassergurgler. Aber auch Wassergurgeln ist besser als nichts: Ausgetrocknete Schleimhäute sind nämlich angreifbarer. Ich glaube, sehr große, weitgehend ungenutzte Chancen liegen derzeit in präventiven, topischen Anwendungen, also etwa Mund- und Rachenspülungen mit antiviralen Substanzen. Den Nasenraum, der ebenfalls eine Eintrittspforte ist, erreicht man gut mit Aromatherapie und ätherischen Ölen. Da könnte man Thymian oder Lavendel einsetzen.

 

Manche Leute lutschen Zistrosentabletten, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Wie gut ist die Pflanze untersucht?

 

Sie ist bei grippalen Infekten erprobt, da gibt es eine randomisierte doppelblinde Studie, die nicht schlecht ist. Das reicht aber natürlich nicht für Sars-CoV-2 aus.

 

Auch die Taigawurzel soll das Immunsystem stimulieren. Was weiß man über sie?

 

Sie gehört wie Ginseng zu den Adaptogenen, die den Körper widerstandsfähiger gegen Stress machen. Möglicherweise erhöht die Pflanze langfristig die Resilienz. In den 1950er-Jahren hat es dazu in der Sowjetunion einen der größten Präventionsversuche der Menschheitsgeschichte gegeben: Rund 15.000 Automobilarbeiter erhielten über zehn Jahre je zwei Monate im Frühjahr und zwei im Herbst die Taigawurzel. Die Grippehäufigkeit sank um 40 Prozent, die Arbeitsunfähigkeitstage nahmen insgesamt um 25 Prozent ab. Bei uns haben sich diese Adaptogene aber nie durchgesetzt.

 

Aronia und Holunderbeeren färben stark. Weist das darauf hin, dass sie ein großes Potenzial haben?

 

Ja. Gerade in tiefroten Beeren finden sich Polyphenole, die positiv auf die Gesundheit wirken, in hoher Konzentration. Als Faustformel können Sie sagen: Je dunkler die Früchte, desto mehr biologisch interessante Substanzen sind enthalten. Holunderbeeren, Blaubeeren, Aronia – die Wirkung dieser Pflanzen könnte man näher untersuchen, wenn man ein Programm und genügend Mittel hätte. Aroniasaft hat in einer Studie, bei der im Labor die Hemmung von Sars-CoV-2-Viren durch vier pflanzliche Produkte untersucht wurde, am besten abgeschnitten. Wir haben überlegt, in Thüringen, wo die Fallzahlen sehr hoch sind, eine entsprechende Studie zu machen: 1000 Thüringer könnten für einen abzuschätzenden Zeitraum Aroniasaft, 1000 andere Thüringer ein Vergleichsgetränk frei Haus erhalten. Danach müsste man vergleichen, wie viele sich in beiden Gruppen infiziert haben, und auch etwas zur Verlaufsschwere sagen können. Auch bei Vitamin C gibt es viele interessante Settings, die aber nicht verfolgt werden. Es ist frustrierend, dass sich offenbar niemand fragt: Wie kann man die Widerstandsfähigkeit, also Resilienz, des Einzelnen steigern?

 

Haben Sie eine Erklärung, warum solche Ansätze nicht verfolgt werden?

 

Nein, ich denke da viel darüber nach. Für therapeutische Ansätze gibt es viele Gelder, aber nicht für Prävention und Resilienzsteigerung.

 

Gibt es Hoffnung für Ihre Thüringer Studie?

 

Wir haben einen kleinen Kreis von Wissenschaftlern und Studenten und wollen über Crowdfunding solche Themen voranbringen. Für welches Thema wir als erstes Geld einsammeln wollen steht noch nicht genau fest. Damit müssen wir uns beeilen, damit noch möglichst viele Leute etwas davon haben. So eine Studie braucht nicht nur Geld, sondern auch eine gründliche Vorbereitung.

 

Was ist, wenn sich jemand infiziert hat? Könnten pflanzliche Mittel dann noch helfen?

 

Man könnte testen, wie sich Phytopharmaka auf den Krankheitsverlauf auswirken. Infizierte, die gerade ihren positiven Test bekommen haben, würden randomisiert mit Mitteln wie Echinacea versorgt. Dann würde man untersuchen, wie sich die Verläufe unterscheiden. Dazu bräuchte man viel weniger Fälle als für eine Präventionsstudie. Für so eine Interventionsstudie müsste man vor allem einen Partner haben, der sehr viele Covid-19-Fälle hat.

 

Welche Pflanze könnte noch einen Beitrag leisten?

 

Ich finde die Rosenwurz interessant. Sie könnte bei der Behandlung des Post-Covid-Syndroms, das unter anderem mit chronischer Erschöpfbarkeit und Abwehrschwäche einhergeht, eine Rolle spielen. Man schätzt ja, dass 1 bis 2 Prozent der Corona-Infizierten von diesem Syndrom betroffen sein werden.

 

 

 

Naturheilkundliche Ansätze im Kampf gegen Covid-19

 

  • ·         Abwehrkräfte stärken: Eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung, die viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse enthält, hält das Immunsystem fit. Viel Bewegung, am besten an der frischen Luft, und genügend Schlaf sind ebenfalls wichtig. Stress und zu viel Alkohol schwächen dagegen die körpereigene Abwehr.
  • ·         Gezielte Immunstimulation: Extrakte des Purpursonnenhuts (Echinacea Purpurea) können möglicherweise dazu beitragen, die körpereigenen Abwehrkräfte zu mobilisieren und Infekte besser abzuwehren.
  • ·         Gurgeln, Mundspülungen: Damit Viren nicht den Mundrachenraum befallen, kann man versuchen, die Schleimhaut zu stärken. Mehrmaliges Gurgeln pro Tag, zum Beispiel mit Grün- oder Salbeitee, hat möglicherweise einen schützenden Effekt. Außerdem ist es wichtig, ausreichend zu trinken, damit die Schleimhäute nicht austrocknen. Ingwertee regt zusätzlich die Durchblutung der Schleimhäute an.
  • ·         Inhalieren: Einige ätherische Öle (z.B. Salbei, Eukalyptus, Thymian, Teebaumöl) haben ein antivirales Potenzial. Daher könnte es einen schützenden Effekt haben, solche Öle zu inhalieren.

 

 

 

 

Interview mit dem Internisten und Experten für Naturheilkunde, Dr. Rainer Stange, aus dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).